Die neuen Notdienstgebühren – ein Rechenbeispiel
Hinweis vorweg: Die Beispielrechnungen sind ausführlicher geworden als ursprünglich gedacht. Wem es zu viel zu lesen ist, der sollte aber vielleicht zumindest die ersten zwei Beispiele lesen und dann zu der vorletzten Berechnung gegen Ende dieses Beitrags springen.
Im Internet geistern bereits viele Horrormeldungen dazu herum, wie nun mit Einführung der neuen, gesetzlich bindenden Notdienstzuschläge abgerechnet würde. Da wird z. B. behauptet, dass eine Behandlung, die zur normalen Sprechzeit 150,- € kosten würde, nun plötzlich nach Sprechstundenende mit 650,- € würde. Dem ist nicht wirklich so. Einerseits wird kaum ein Praktiker tatsächlich den 4-fachen Satz nehmen. Und außerdem werden in den allermeisten Fällen die Behandlungskosten von 150,- € zur regulären Sprechzeit auch nicht dem 1,0-fachen Satz entsprechen, da eine Praxisführung zum untersten Satz der Gebührenordnung schon lange nicht mehr üblich ist, da für uns Tierärzte aufgrund der drastisch gestiegenen Unkosten dies einfach nicht mehr tragbar ist.
Stellen wir einmal eine Beispielrechnung auf:
Durchfallbehandlung Hund, Zeitaufwand ca. 30 min.
Rechenbeispiel #1, Abrechnung zum 1,0-fachen Satz der Gebührenordnung
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 13,47 €
große Kotuntersuchung (Fremdlabor) 68,80 €
Kurierdienst 4,00 €
2x Injektion subkutan 11,54 € (2x 5,77 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 117,31 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 22,29 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 139,60 €
Rot gedruckte Summen werden direkt wieder an andere Stellen (das Fremdlabor, die Pharmafirmen für den Kauf der Medikamente, den Staat) abgeführt. Dem Tierarzt bleiben demnach 34,76 €. Hierfür hat er in der Regel gemeinsam mit zumindest einer Angestellten, eine halbe Stunde lang gearbeitet (ganz davon zu schweigen, dass das Ergebnis der Kotuntersuchung später ja auch noch analysiert und mit dem Tierhalter besprochen werden muss). Gleichzeitig muss er hiervon die Praxismiete, das Personal, Versicherungen u.s.w. bezahlen. Ich glaube es leuchtet ein, dass dies in der heutigen Zeit nicht mehr machbar ist. Selbst, wenn dem Tierarzt selbst hiervon nach Abzug aller Kosten noch 10% bleiben sollten, wären dies gerade einmal knapp 3,50 €! Hochgerechnet auf eine Stunde macht das dann einen (Brutto-)Stundenlohn von 7,00 €.
Und nun geht’s weiter: Damit der Tierarzt seinen eigenen Tieren auch noch etwas zu Futtern kaufen kann, hebt er die Preise an – ganz dreist um 25%. Dies bezieht sich aber nur auf seine Leistung, nicht auf Medikamente und z. B. Fremdlaborkosten. Wer noch Lust hat, darf gern weiterlesen, wo wir dann landen. Der Unterschied ist nämlich erstaunlich gering:
Rechenbeispiel #2, Abrechnung zum 1,25-fachen Satz der Gebührenordnung
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 16,84 €
große Kotuntersuchung (Fremdlabor) 68,80 €
Kurierdienst 4,00 €
2x Injektion subkutan 13,73 € (2x 6,87 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 122,87 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 23,35 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 146,22 €
Der Tierhalter zahlt in diesem Beispiel bei 25%-iger Preiserhöhung also 6,62 € mehr. 19% davon gehen gleich wieder an das Finanzamt. Dem Tierarzt bleiben nun aber nicht mehr 3,50 € für seine halbstündige Arbeit, sondern 5,56 € mehr, also 9,06 €. Damit stellt der Tierarzt seine Expertise nun für einen Stundenlohn von immerhin 18,12 € statt der 7,00 € aus dem ersten Rechenbeispiel zur Verfügung.
Landen wir nun im Notdienst… Es ist Sonntag, der Hund hat plötzlich starken Durchfall, der Tierarzt verlässt den Geburtstagskaffee und fährt zur Praxis…
Rechenbeispiel #3, Abrechnung zum 2,0-fachen Satz der Gebührenordnung im Notdienst
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 26,94 €
Notdienstzuschlag, gesetzlich bindend 50,00 €
große Kotuntersuchung (Fremdlabor) 68,80 €
Kurierdienst 4,00 €
2x Injektion subkutan 23,08 € (2x 11,54 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 192,32 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 36,54 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 228,86 €
Ob nun tatsächlich im Notdienst direkt eine Kotprobe zur Untersuchung eingeschickt wird, sei dahingestellt. Ich habe diese Position aber in der Berechnung belassen, damit es besser vergleichbar mit den vorangegangenen Rechenbeispielen ist. An den Kosten ändert es überdies ohnehin nichts, ob die Probe nun schon am Sonntag angenommen oder am Montag vorbei gebracht wird.
Der Kunde zahlt also für die Behandlung im Notdienst 82,64 € (brutto) mehr als bei der gleichen Behandlung zu den regulären Öffnungszeiten. Da auch schon vor Einführung der neuen Notdienstgebühren in der Regel im Notdienst schon zumindest zum 2,0-fachen Satz abgerechnet wurde, liegt der Unterschied zu „damals“ nur in der neuen Notdienstgebühr von 50,– € netto bzw. 59,50 € brutto.
Und nun der „worst case“, sollte der Tierarzt tatsächlich zum maximalen Notdienstsatz abrechnen, was garantiert aber nicht die Regel sein wird (vielleicht nachts um 3 Uhr mit langer Anfahrt zur Praxis und ungewöhnlich hohem Zeitbedarf, weil z. B. noch über drei andere Probleme gesprochen werden soll, „wenn man schon mal da ist und im Moment ja niemand sonst im Wartezimmer sitzt“…)
Rechenbeispiel #4, Abrechnung zum 4,0-fachen Satz der Gebührenordnung im Notdienst
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 53,88 €
Notdienstzuschlag, gesetzlich bindend 50,00 €
große Kotuntersuchung (Fremdlabor) 68,80 €
Kurierdienst 4,00 €
2x Injektion subkutan 46,16 € (2x 23,08 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 242,34 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 46,04 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 288,38 €
Und nun schließt sich der Kreis zu der Horrormeldung aus dem Internet, dass man nun statt regulär 150 € ab sofort 650 € zahlen muss. In meinem Rechenbeispiel auf Basis einer Rechnung von 139,60 € (zur Erinnerung: kaum realisierbarer 1,0-facher Satz!) bei weniger als 300 € als maximal mögliche Kostenaufstellung – also fernab der 650 €, die auf Facebook in den Raum geworfen werden.
Variante „Röntgen statt Kotuntersuchung“
Wie gesagt, ich habe auch zur Verdeutlichung, dass nicht alle Kostenpositionen von der Gebührenerhöhung betroffen sind und die Preise nicht wie befürchtet zwangsläufig extrem explodieren, die Position „Kotuntersuchung Fremdlabor“ in der Beispielrechnung belassen.
Nehmen wir nun einmal an, dass stattdessen z. B. zwei Röntgenbilder in der Praxis angefertigt werden (und um es leichter zu machen tun wir einfach mal so, als ob dies preisgleich zu der Kotuntersuchung wäre). In dem Fall landen wir dann tatsächlich bei einer Gebühr von 548,28 € (brutto!), sollte der sehr unwahrscheinliche Fall eintreten und zum 4,0-fachen Satz abgerechnet werden. Zum wahrscheinlicheren 2,0-fachen Satz wären es 310,73 € (vor der Gebührenerhöhung wären es bei standardmäßiger Abrechnung zum 2,0-fachen Satz im Notdienst aber auch schon 250,83 € gewesen – der Unterschied liegt hier immer nur in der Notdienstpauschale von 50,00 € zzgl. gesetzlicher MwSt).
In der regulären Sprechstunde bei z. B. 1,25-fachem Satz (wir sind uns hoffentlich nach dem 1. Rechenbeispiel einig, dass ein 1,0-facher Satz nicht realistisch ist?) landen wir bei 167,87 €. Die Differenz zu einer Behandlung im Notdienst mit 2,0-fachem Satz liegt also bei 142,86 €. Und das auch nur, wenn im Notdienst tatsächlich recht umfangreiche und im Falle einer Röntgendiagnostik für den Tierarzt auch kostenintensiven Diagnostik betrieben wurde/werden musste. Wann ich im Notdienst aber tatsächlich das letzte Mal röntgen musste, weiß ich schon gar nicht mehr. Der „Durchschnittsnotfall“ (Durchfall idealerweise schon seit zwei Wochen, Erbrechen, Husten, Juckreiz, „hat sich vertreten“) bei Vorstellung in einer Kleintierpraxis wird untersucht, bekommt vielleicht zwei Medikamente gespritzt und dann noch ein paar Medikamente sowie Anweisungen für den Umgang mit dem Patienten mit nach Hause. Inwieweit es sich bei diesen Fällen tatsächlich um Notfälle handelt, sei dahingestellt und soll hier nicht Thema sein. Deshalb erwähne ich den allseits beliebten Notfall „Zecke“ jetzt auch nicht weiter 😉
Bei einer „Standard-Notfall-Behandlung“ sind wir dann bei…
Adaptation Rechenbeispiel #3, Abrechnung zum 2,0-fachen Satz der Gebührenordnung im Notdienst – ohne weitergehende Diagnostik
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 26,94 €
Notdienstzuschlag, gesetzlich bindend 50,00 €
2x Injektion subkutan 23,08 € (2x 11,54 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 119,52 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 22,71 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 142,29 €
Ich denke, dass dies ungefähr die Größenordnung sein wird, mit der man im Notdienst künftig wird rechnen müssen.
Zum Vergleich noch einmal die selbe Behandlung zur normalen Sprechzeit (1,25-facher Satz):
Allgemeine Untersuchung mit Beratung (Hund) 16,84 €
2x Injektion subkutan 13,73 € (2x 6,87 €)
angewandte Medikamente und Materialien 4,50 € (EK: ca. 2,25 €)
abgegebene Medikamente 15,00 € (EK: ca. 7,50 €)
Zwischensumme 50,07 € (netto!)
gesetzliche Mehrwertsteuer (19 %) 9,51 €
Endsumme, vom Besitzer zu bezahlen: 59,58 €
Dies ergibt eine natürlich immer noch signifikante Kostensteigerung von 82,71 € – aber keine pauschale Vervierfachung (und mehr) der Kosten!
(Alle genannten Preise sind natürlich nur Beispiele und nicht verbindlich. Ebenso kann ich nicht ausschließen, mich irgendwo verrechnet oder vertippt zu haben. Die Aufstellungen sollten einfach nur sachlich verdeutlichen, wo es hin geht und dass derartige Facebook-Meldungen nicht besonders realistisch sind!)